"Zweiten Lockdown können wir uns nicht leisten"

Seit ein paar Wochen ist Enzo Pontoriero neuer Geschäftsleiter von Gastroconsult, Jakob Huber tritt kürzer. Im Interview erklären die beiden Wirtschaftsprüfer mit Tipps, wie die Gastronomieunternehmen diese Krise meistern können und wie ­Gastroconsult in Zukunft aufgestellt sein wird.

Wie viele Überstunden muss derzeit das Personal von Gastroconsult leisten, Jakob Huber?
Jakob Huber: Wir arbeiten in dieser ausserordentlichen Situation tatsächlich deutlich mehr als üblich. Allerdings können wir nicht alle geleisteten Überstunden verrechnen. Wir haben also mehr Personalkosten, aber nicht zwingend mehr Umsatz. Das ist für uns eine wirtschaftlich schwierige Situation.

 

Gab es in Ihrer 14-jährigen Gastroconsult-Karriere je eine grössere Herausforderung als Corona?
JH: Nein. Das ist ganz klar die grösste Herausforderung, die ich in meiner beruflichen Laufbahn hatte. Wir wurden, wie viele andere, völlig unvorbereitet mit dieser neuen Situation konfrontiert.

 

Welche ersten Lehren ziehen Sie daraus?
JH: Betriebswirtschaftlich haben wir nun gemerkt, was ein Klumpenrisiko bedeutet. Eigentlich ist Branchentreuhand ein Segen mit vielen Vorteilen. Viele Gewerbetreibende, die keine Freunde in der Treuhandbranche haben, suchen sich in der Regel eine Branchenspezialistin. Von diesem Umstand profitiert die Gastroconsult. Die Gastronomie wurde aber durch den Corona-Lockdown überdurchschnittlich stark getroffen mit entsprechendem Einfluss auf uns.

 

Was sind in diesen schwierigen Zeiten Ihre wichtigsten Tipps für die Betriebe?
Enzo Pontoriero: Besonders wichtig ist eine gute Planung beim Einsatz des Personals. Deshalb haben wir zur Hilfestellung ein Budget-Tool entwickelt. Die Betriebe sollten die Kurzarbeit richtig verwenden: das Personal aufbieten, wenn Arbeit besteht und die restlichen Mitarbeitenden über die Kurzarbeit abrechnen. Wer die Tische mittags und abends mehrfach besetzen kann, steigert das Ergebnis. Dazu bietet es sich an, abends mit zwei Zeitfenstern zu arbeiten, beispielsweise von 18 bis 20 sowie von 20 bis 22 Uhr.

 

Wie kundenfreundlich ist das?
EP: Es ist verständlich, wenn das zu einzelnen Kritiken führt. Andererseits sind Gastronomen angehalten, möglichst viel Umsatz zu machen, weil sie nach den behördlichen Auflagen zwei Monate schliessen mussten und dennoch Fixkosten zu tragen hatten.
JH: Eine saubere Allokation von Personalkosten am Umsatz ist sehr wichtig. In der Systemgastronomie wie beispielsweise bei McDonald’s funktioniert das meist gut. Nun hat die klassische Gastronomie mit der Kurzarbeit ein Instrument und kann ähnlich vorgehen. Ansonsten gilt es, alles auszuschöpfen, was möglich ist: Wer die Pandemieversicherung noch nicht kontaktiert hat, sollte dies sofort machen und zudem schauen, welche Lösung sich mit dem Vermieter bietet. Wir befinden uns übrigens noch mitten in der Coronakrise und nicht danach.

 

Wie wird die Branche deswegen 2021 aussehen?
EP: Die Starken und jene, die Reserven haben, werden überleben. Wer schnell reagiert und innovativ ist und von uns gut beraten wird (lacht) sowie das nötige Glück hat, sollte ebenfalls durchkommen.

 

Was sagen Sie einem Unternehmer, der erst diesen März eröffnete?
JH:  Betriebe in den Städten, die auf eine internationale Kundschaft ausgerichtet sind und kein grosses finanzielles Polster haben, werden Schwierigkeiten haben. Es wird wohl noch Jahre dauern, bis die Mobilität und damit auch der internationale Tourismus wieder auf dem Niveau von 2019 sind. Die Chance für unsere Kunden besteht darin, dass wieder eine starke Regionalisierung und Switzerland first gefragt sind. Deshalb bietet sich für die Betriebe beim Einkauf eine Regionalisierung und Lokalisierung der Produkte an.

 

Was raten Sie sonst noch?
JH: Die Speisekarten sollten aufs Wesentliche reduziert werden. Heute kehren die Kunden wegen zwei, drei Produkten oder Menüs in einem Restaurant ein. Jeder Unternehmer muss sich bewusst sein, weshalb die Gäste zu ihm kommen. Diese Pluspunkte sollten noch verstärkt werden. Es braucht Abgrenzungen. Jeder arbeitet nur noch dort, wo er wirklich gut ist. Wichtig ist zudem, dass das Personal jeweils die Sprache des Landesteils spricht. Wenn ich einen Espresso bestelle und die Dessertkarte erhalte, weil ich falsch verstanden wurde, finde ich das problematisch.

 

Gewisse Medien und Politiker sprechen immer wieder von einem zweiten Lockdown. Das könnten die meisten Betriebe doch gar nicht verkraften.
EP: Das sehe ich genau gleich wie Sie. Ohne ein zusätzliches Massnahmenpaket vom Bund können wir uns einen zweiten Lockdown nicht mehr leisten. Kommt dazu, dass die Versicherungen in den neuen Verträgen Folgen der Pandemie explizit ausschliessen. Die Mietkosten machen durchschnittlich immerhin 8 bis 15 Prozent der Kosten aus, das Personal kostet 40 bis 50 Prozent, die Warenkosten 25 bis 30 Prozent. Für die meisten bleibt also unterm Strich nicht mehr viel übrig.
JH:  Ein zweiter Lockdown wäre ein Desaster. Daran darf man gar nicht denken. Wir können nur hoffen, dass es im Kampf gegen das Virus bald medizinische Fortschritte gibt.

 

Weshalb wollen Sie kürzertreten?
JH: Ich will mehr Zeit für meine Familie, Freunde, Kollegen und mich haben. Ein tragisches Ereignis hat mich zu diesem Entscheid geführt. Ich merke auch, dass ich nicht mehr gleich viel Energie wie vor 15 Jahren habe. Man sollte immer dann kürzertreten, solange die Leute nicht denken, es sei überfällig auszusteigen. Der Zeitpunkt ist ideal: Ich bin im Vollbesitz meiner Kräfte und überzeugt, dass mein Nachfolger Gastroconsult besser führen wird als ich. Für meine Zukunft habe ich ein gutes Modell.

 

Welches?
JH: Ich werde noch 60 Prozent für ein Familienunternehmen und im Gastroconsult-Verwaltungsrat bis zur GV 2021 arbeiten. Mein Nachfolger wird entscheiden, ob Huber danach noch was für Gastroconsult macht oder nicht. Flexibel wäre ich.

 

Sie, Enzo Pontoriero, haben als KPMG-Mitarbeiter seit November 2010 GastroSuisse geprüft und wechselten am 1. Oktober 2018 zu Gastroconsult. Was hat Sie motiviert, die Herausforderung als Geschäftsleiter und Nach­folger von Jakob Huber anzunehmen?
EP: Ich wollte nach meiner KPMG-Zeit zu einer Organisation, bei der ich Einfluss auf das Unternehmen habe. Jakob Huber hat mich kontaktiert, und wir tauschten uns danach aus. Nun kann ich an der Front den Betrieb entwickeln.

 

Was ist Ihnen beim Entwickeln wichtig?
EP: Das grosse Schlagwort heisst Modernisierung. Schon vor meiner Zeit hat sich Gastroconsult weg von der Buchhaltung hin zur Beratungsgesellschaft entwickelt, was viele Teilprojekte mit sich zieht. Mit Modernisierung ist vor allem die Digitalisierung gemeint. Im Mitarbeiterbereich mit unseren rund 140 Angestellten,  oder 100 Vollzeitstellen, arbeiten wir vermehrt im Homeoffice mit mehr Selbstständigkeit, Teilzeitpensen und Flexibilität.
JH: Diese Menschen erzielen einen Umsatz von knapp 22 Millionen Franken für das Stammhaus und ihre Beteiligungsgesellschaften.

 

Welches sind für Sie in den nächsten Monaten die grössten Aufgaben, die Sie bewältigen müssen?
EP: Uns stellt sich die Frage, wie Gastroconsult das Schiff durch die Krise steuert. Denn Corona wird eine Wirtschaftskrise auslösen. Krisen sind aber auch immer Chancen. Jetzt geht es darum, diese zu erkennen, zu nutzen und zu entwickeln. Wir haben bereits vor Corona die Digitalisierung und die Attraktivität der Arbeitsplätze erhöht. Diese Entwicklung hat sich nun noch beschleunigt.

 

 

★ Zu den Personen

Jakob Huber (59), diplomierter Wirtschaftsprüfer und Treuhänder, hat mehr als drei Jahrzehnte Beratungs- und Prüfungserfahrung, ein Vierteljahrhundert in geschäftsleitender Stellung. Seit 14 Jahren ist er im Verwaltungsrat (ab Oktober 2011 Delegierter) und  Geschäftsleitungsmitglied (bis Juni 2020 Vorsitzender) der Gastroconsult. Als Verwaltungsratsdelegierter amtet er noch bis zur nächsten Generalversammlung, die voraussichtlich in der ersten Hälfte 2021 durchgeführt wird.

Enzo Pontoriero (34), diplomierter Wirtschaftsprüfer B. Sc. in Betriebsökonomie, ist seit Juni 2020 Vorsitzender der achtköpfigen Geschäftsleitung von Gastroconsult.
Mit 28  Jahren absolvierte der schweizerisch-italienische ­Doppelbürger die Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer. Von November 2010 bis September 2018 hat Pontoriero als KPMG-Revisor Gastroconsult geprüft und wechselte per 1. Oktober 2018 zu Gastroconsult.  Seit April 2018 bildet er sich zusätzlich als Mental-Coach CIS weiter.

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