Donnerstag, 15. September 2022

«Frauen können es mindestens so gut wie Männer»

Beim Wort Steuern verdrehen viele die Augen. Nicht so Ursula Waldburger, Steuerexpertin bei Gastroconsult. Sie kennt sich aus und rät Gastronomen – und vor allem Gastronominnen –, sich stärker mit der Materie auseinanderzusetzen.

Ursula Waldburger, Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Mehrwertsteuer: Beim Wort Steuern winken viele als erste Reaktion erst einmal ab …
Ursula Waldburger: Ich stelle fest, dass die Leute häufig eine unberechtigte Angst vor den Steuern haben. Einerseits finden Sie es langweilig, andererseits haben sie oft Bedenken, etwas falsch zu machen. 

Scheuen sich Frauen mehr als Männer vor dem Thema Steuern?
Meine Erfahrung zeigt, dass Frauen sich generell bei Finanzthemen mehr scheuen. Und zwar nicht, weil sie es nicht verstehen, sondern weil sie den Anspruch an sich selbst zu perfektionistisch setzen: Wissen sie nicht alles bis ins letzte
Detail, lassen sie es lieber sein.

Die meisten geben die Steuern und die Buchhaltung auswärts. Muss ich mich dennoch auskennen?
Ja, denn am Schluss unterschreibt man seine Steuererklärung! Klar, der Treuhänder oder die Treuhänderin bieten viel Unterstützung. Aber, wenn ich mich gar nicht auskenne, dann muss ich mir bewusst sein, dass jemand anders für mich finanzielle Dinge bestimmt. Ich finde es wichtig, dass man mitentscheiden kann – genauso wie der Gastronom oder die Gastronomin entscheidet, wie die Menükarte gestaltet oder die Terrasse bepflanzt ist. Was ich bei meiner Beratung stets anstrebe: dass niemand etwas umsetzt, das er oder sie nicht versteht.

Alle wollen Steuern optimieren, doch das Thema ist komplex und jeder Betrieb wieder anders: Wo sollen Gastronomen und Gastronominnen damit anfangen?
Der erste Schritt, um Steuern zu sparen, ist, es richtig zu machen. Ist die Mehrwertsteuer-­Abrechnung korrekt ausgefüllt? Wo kann ich meine Vorsteuern geltend machen? Welches ist das richtige System? Alles hat Konsequenzen. Oft
spare ich zwar jetzt, aber dafür zahle ich später mehr. Ich bin kein grosser Fan von Steuernsparen um jeden Preis.

Warum nicht?
Ich bin auch nicht unbedingt dagegen. Solange alles normal läuft, ist Steuernsparen in Ordnung. Selbstständigerwerbende können beispielsweise Steuern sparen, indem sie ihr Ergebnis reduzieren. Nur hat dies dann allenfalls einen
negativen Effekt auf ihre spätere AHV-Rente! Ein aktuelles Beispiel: Alle, die in den letzten Jahren ein möglichst tiefes Ergebnis ausgewiesen haben, bekamen dann während der Pandemiezeit weniger Erwerbsausfall-­Entschädigung.

Lohnt sich eine Steuerstrategie? Und wie erstellt man diese?
Grundsätzlich: Vorausplanen und eine Unternehmensstrategie – auch mit Blick auf eine Steueroptimierung – lohnen sich immer. Wie eine solche Strategie aussehen soll, kommt immer sehr auf das Unternehmen an. Das Ergebnis etwas zu glätten, ist in gewissen Situationen angebracht. Das heisst, man soll versuchen, in einem Jahr nicht einen riesigen Gewinn und im nächsten Jahr einen Verlust auszuweisen. Dazu braucht es nicht nur eine gute Steuerplanung, sondern generell eine gute Planung. Weiss ich zum Beispiel bereits heute, dass ich in drei Jahren umbauen will, dann macht es Sinn abzuklären, ob man heute schon Rückstellungen dafür buchen kann.

Es heisst, eine lückenlose Dokumentation sei unabdingbar. Elektronisch oder die berühmte Schachtel voller Belege?
Es gibt heute diverse elektronische Hilfsmittel und Apps, aber es gibt auch noch die Schachtel (lacht).

Dazu muss ich wissen, welche Belege ich sammeln und sortieren muss.
Alle Einnahmen und alle Ausgaben. Also alle! Besser einen Beleg zu viel als einen zu wenig.

Angeblich gibt es nirgendwo so komplizierte Regelungen wie im Gastgewerbe … Stimmt das?
Die Mehrwertsteuer ist kompliziert, vor allem ist sie fehleranfällig. Hotels etwa können eine Halbpensionspauschale anbieten und haben dadurch einen tieferen
Mehrwertsteuersatz auf dem Abendessen– statt 7,7 nur 3,8 Prozent. Weist man dies jedoch falsch aus, sind ganz viele Steuern nachzuzahlen.

Wo passieren die gröbsten Fehler?
Das lässt sich nicht pauschal sagen. Häufig werden Belege nicht aufbewahrt. Oder Aushilfen werden bar bezahlt, und der Beleg geht vergessen. Da kann der Aufwand hinterher nicht mehr geltend gemacht werden. Wer bei einem Thema
unsicher ist, sollte kurz seinen Treuhänder oder seine Treuhänderin fragen. Ein solches zehnminütiges Telefongespräch ist oft Gold wert.

Welche Konsequenzen kann es haben, wenn man bei finanziellen oder vertraglichen Angelegenheiten unwissend oder zu leichtgläubig ist?
Viele! Nehmen wir als Beispiel ein Paar: Dem Mann gehört das gastronomische Unternehmen, und die Frau arbeitet mit, bezieht aber keinen offiziellen oder nur einen sehr tiefen Lohn. Läuft alles gut, ist alles kein Problem. Bekommt sie irgendwann ein Kind, hat sie null Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung – ob verheiratet oder nicht. Oder das Beispielspaar ist nicht verheiratet und trennt sich. Dann erhält sie keine Arbeitslosenentschädigung, da sie ja keinen Lohn hatte. Und ihr fehlen auch die AHV-­Beiträge für all die gearbeitete Zeit. Sie hat nichts.

Hoppla …
Das überlegt sich kaum jemand. Der Treuhänder oder die Treuhänderin sollte die Kundinnen darauf hinweisen. Aber es wäre wünschenswert, dass sich Frauen stärker mit der Thematik auseinandersetzen.

Welchen Rat können Sie Frauen sonst noch geben?
Ich versuche, Frauen die Angst vor Steuer-und Finanzangelegenheiten zu nehmen und sie einzubeziehen. Meist, wenn ich in einem Betrieb anrufe, nimmt die Frau den Anruf entgegen. Sage ich, wer ich bin, heisst es nicht selten: «Ich gebe Ihnen meinen Mann.» Oft sind die Frauen dann bei den Besprechungen nicht dabei. Doch da werden Entscheide gefällt, dessen Auswirkungen alle betreffen! Die Frauen kommen erst in späteren Gesprä­chen dazu, wenn es nur noch um Details geht und die Grundsatzentscheidungen bereits gefällt sind.

Fordern Sie sie nicht auf, teilzunehmen?
Nein, ich überlasse den Entscheid den Betriebsinhabern, auch wenn ich es bedauere, dass nicht mehr Frauen an den Besprechungen teilnehmen. Ich betreue sogar einen Betrieb, den eine Frau führt, ihr Mann arbeitet dort nicht mit, aber ihm gehört der Betrieb. Sie bezieht von ihm einen Lohn, doch der ganze Gewinn gehört ihm. Dieses Modell war sogar ihr Wunsch, da sie sich nicht traute, sich selbstständig zu machen. So gründete er ein Einzelunternehmen. Das ist schade.

Also heisst die Devise: Frauen traut euch mehr zu?
Ja, unbedingt! Denn sie können es mindestens so gut wie die Männer.

INTERVIEW UND FOTO CORINNE NUSSKERN

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